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Schwebende Supraleiter

Quantenmechanik zum Anfassen

Elektrischen Strom verlustfrei leiten? Materialien, die plötzlich zu schweben beginnen? Nein, keine Science-Fiction, sondern ein quantenmechanisches Phänomen. Dieses tritt nur bei extrem tiefen Temperaturen auf und wird Supraleitung genannt. Wird es in Zukunft möglich sein, Materialien zu entwickeln, die auch bei Normalbedingungen supraleitend sind?

Was sind supraleitende Materialien?

Supraleitende Materialien sind Werkstoffe – Metalle oder leitfähige Keramiken – die bei extrem tiefen Temperaturen ihre physikalischen Eigenschaften schlagartig verändern: Im supraleitenden Zustand leiten sie elektrischen Strom widerstandsfrei und zeigen in einem Magnetfeld spezielle Effekte.

Supraleitende Materialien werden technisch in erster Linie für die Erzeugung extrem starker Magnetfelder eingesetzt: So enthält der CMS-Detektor am CERN supraleitende Magnete, die ein Magnetfeld erzeugen können, das 100’000-mal stärker ist als jenes der Erde.

Das Phänomen Supraleitung beruht auf quantenmechanischen Vorgängen.

 

Im Gegensatz zu den meisten anderen Phänomenen aus dem Bereich der Quantenmechanik sind die Auswirkungen der Supraleitung direkt erfahrbar.

 

Es gibt zwei Betrachtungsweisen, um supraleitende Materialien zu klassifizieren: Die eine Betrachtungsweise gruppiert anhand der Höhe der Temperatur, bei der das Material supraleitend wird. Bei der zweiten Betrachtungsweise wird nach dem Verhalten des supraleitend gemachten Materials in einem Magnetfeld unterschieden.

Betrachtungsweise 1

Tieftemperatur-Supraleiter (meistens Metalllegierungen)

  • erfordern eine Kühlung bis nahe dem absoluten Nullpunkt (0 Kelvin = -273° Celsius)
  • Kühlmittel: flüssiges Helium (He) (sehr teuer)
  • 1911 vom dänischen Physiker Heike Kamerlingh Onnes entdeckt, der dafür 1913 mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet wurde

 

Hochtemperatur-Supraleiter (keramische Metalloxide)

  • erfordern eine Kühlung bis zu Temperaturen von ungefähr -150° C bis -200° C (circa 100 K)
  • Kühlmittel: flüssiger Stickstoff (N2) (billig)
  • 1986 von UZH-Physikprofessor Karl Alex Müller und dem deutschen Physiker und Mineralogen Johannes Georg Bednorz entdeckt, die dafür 1987 mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet wurden

Betrachtungsweise 2

Supraleiter der ersten Art (auch Typ I)

Sie verdrängen ein an sie angelegtes Magnetfeld an ihre Oberfläche (sog. Meissner-Ochsenfeld-Effekt). Sie sind in ihrem Innern somit nicht magnetisch und leiten elektrischen Strom nur über ihre Oberfläche, aber nicht im Innern.

 

Supraleiter der zweiten Art (auch Typ II)

Sie bündeln zusätzlich zum Meissner-Ochsenfeld-Effekt ein an sie angelegtes Magnetfeld in Kanälen (sog. Flussschläuchen). Die stark gebündelten Magnetfelder in den Flussschläuchen unterdrücken dort lokal die Supraleitung. Supraleiter dieser Art haben somit Bereiche, in denen sie supraleitend und andere (in den Flussschläuchen), in denen sie normalleitend sind.

In leitender Funktion: Metalle

Wie wird elektrischer Strom geleitet?

Metalle leiten den elektrischen Strom. Dies hängt mit dem Aufbau der Metallatome zusammen: Sie besitzen nur wenige Elektronen auf ihren äussersten Schalen (sogenannte Aussenelektronen), die sie aber je nach Element leicht abgeben können.

 

Aufbau eines Aluminiumatoms im Schalenmodell

Aluminium besteht aus: 13 positiv geladenen Protonen und 14 elektrisch neutralen Neutronen im Kern und 13 negativ geladenen Elektronen, davon 3 auf der äussersten Schale, die als Aussenelektronen bezeichnet werden (3e-)

Elektrische Leitfähigkeit von Metallen

Wenn Metallatome, die in einem Kristallgitter angeordnet sind, ihre Aussenelektronen abgeben, verbleibt der Rest als positiv geladene Atomrümpfe. Die abgegebenen (elektrisch negativ geladenen) Aussenelektronen sind zwischen den Atomrümpfen frei beweglich. Sie bilden das sogenannte Elektronengas und können den elektrischen Strom leiten.

Positiv geladene Metall-Atomrümpfe bilden das Metallgitter und frei bewegliche und negativ geladene Elektronen bilden das Elektronengas

Bei Raumtemperatur leiten Metalle elektrischen Strom mit einem Widerstand. Dieser entsteht, da die frei beweglichen Elektronen im Elektronengas mit anderen Elektronen und den sich auf Grund der Temperatur bewegenden Atomrümpfen zusammenstossen und so ihre Bewegungsenergie wieder abgeben. Wird die Temperatur erhöht, schwingen die Atomrümpfe stärker. Es finden mehr Kollisionen statt. Deshalb nimmt der elektrische Widerstand mit steigender Temperatur zu.

Der Widerstand ist definiert als Quotient aus angelegter Spannung und dem Strom, der im Material fliesst:

elektrischer Widerstand = elektrische Spannung geteilt durch die Stromstärke

 

Supraleitende Materialien und ihre Effekte

Im supraleitenden Zustand zeigen Materialien interessante Effekte, die sich teilweise technisch nutzen lassen. Charakteristisch für supraleitende Materialien sind:

1

Diamagnetismus
Wie er entsteht und wirkt:

2

Meissner-Ochsenfeld-Effekt
Wie er entsteht und wirkt:

3

Cooper-Paare
Wie sie entstehen und wirken:

Zusätzlich zu diesen Effekten bilden supraleitende Materialien der zweiten Art in einem von aussen an sie angelegten starken Magnetfeld Flussschläuche aus.

Flussschläuche
Wie sie entstehen und wirken:

1) Diamagnetismus: Supraleiter sind ideale Diamagneten und bilden ein eigenes Magnetfeld aus, das einem äusseren Magnetfeld entgegengesetzt ist. Physikalische Folge: Supraleitende Materialien können über einem Magneten schweben. 2) Meissner-Ochsenfeld-Effekt: Supraleiter der ersten Art verdrängen ein von aussen angelegtes Magnetfeld vollständig aus ihrem Inneren. Flussschläuche: Supraleiter der zweiten Art leiten ein von aussen angelegtes Magnetfeld in engen Kanälen - den sogenannten Flussschläuchen - durch sich hindurch. Physikalische Folge: Flussschläuche stabilisieren (pinnen) den Supraleiter in einer bestimmten Position zum äusserem Magnetfeld. 3) Cooper-Paare: die Elektronen des Elektronengases bilden Cooper-Paare. Physikalische Folge: Elektrischer Strom fliesst ohne Widerstand. Auf diese Weise lassen sich extrem starke Magnetfelder erzeugen. Gewöhnliche Metalle würden bei den dafür erforderlichen elektrischen Strömen aufgrund des elektrischen Widerstands schmelzen.

Die UZH in führender Rolle

Seit der Verleihung des Nobelpreises für Physik 1987 für die Entdeckung der Hochtemperatur-Supraleitung an Karl Alex Müller und Johannes Georg Bednorz ist die Universität Zürich führend in der Erforschung der Hochtemperatur-Supraleitung.

Die Entdecker der Hochtemperatur- Supraleitung: der Physiker und Mineraloge Johannes Georg Bednorz (rechts) und der Physiker Karl Alex Müller (links) im Jahr der Nobelpreisverleihung. © Keystone SDA | 1987

Professor Andreas Schilling hält seit 1993 den Rekord für die höchste je gemessene Sprungtemperatur (-140° Celsius) eines Supraleiters bei Normaldruck.

Auf der Suche nach neuen Supraleitern: Die Forschenden

Aktuell betreiben an der UZH die Physiker Johan Chang und Andreas Schilling experimentelle Forschung im Bereich Hochtemperatur-Supraleitung: Sie suchen unter anderem nach Materialkombinationen mit möglichst hohen Sprungtemperaturen.

Der Physiker Titus Neupert beschäftigt sich mit theoretischen Aspekten der Supraleitung, unter anderem erforscht er topologische Isolatoren mit supraleitenden Kanten.

Prof. Johan Chang
Experimentalphysiker

Herkunft: Dänemark,
seit 2015 an der UZH

Chang leitet das Labor für Quantenmaterieforschung und forscht in den Bereichen korrelierte Supraleitung, unkonventionelle Ladungsordnung, Vortex-Physik, Quantenkritikalität und Phasenkonkurrenz.

 

Prof. Andreas Schilling
Experimentalphysiker

Herkunft: Schweiz,
seit 2003 an der UZH

Schilling erforscht neue Materialien und arbeitet v. a. in den Bereichen Supraleitung, Magnetismus und Thermodynamik. Unter anderem entwickelt er supraleitende Dünnfilm-Nanodraht-Einphotonen-Detektoren, die im Röntgenbereich arbeiten.

Videoportrait von Prof. Andreas Schilling:

Prof. Titus Neupert
Theoretischer Physiker

Herkunft: Deutschland,
seit 2016 an der UZH

Neupert leitet die Gruppe für die Theorie der kondensierten Materie. Er erforscht Quantenmaterialien und entwickelt neuartige numerische Methoden für topologische und korrelierte Systeme.

Videoportrait von Prof. Titus Neupert:

Auf dem Weg zum Durchbruch?

In der theoretischen Physik geht es darum, das Phänomen der Hochtemperatur-Supraleitung erklären und abschliessend mathematisch beschreiben zu können. Experimentell wird nach Hochtemperatur-Supraleitern mit möglichst hohen Sprungtemperaturen gesucht. Falls es gelingt, Materialien zu entwickeln, die bei Normalbedingungen – also bei normalem Druck und Raumtemperatur – oder nahe bei Normalbedingungen supraleitend sind, wäre dies ein Durchbruch mit zahllosen technischen Anwendungen.

Tieftemperatur-Supraleiter im praktischen Einsatz

Für Hochtemperatur-Supraleiter gibt es aufgrund der Sprödheit der Materialien bis heute wenig praktische Anwendungen. Mithilfe von Tieftemperatur-Supraleitern lassen sich extrem starke Magnetfelder erzeugen. Diese werden im Hightech-Bereich und in der medizinischen Diagnostik eingesetzt:

  • in Magnetresonanztomographen (MRI) für medizinische Diagnostik
  • in Hochgeschwindigkeitszügen wie in Japan (z.B. Maglev) und in China (Testbetrieb)
Der Maglev Shanghai Transrapid funktioniert auf der Basis magnetischer Levitation und befährt eine kommerziell betriebene Bahnstrecke. © iStock / Shanghai | 2016
  • im Large Hadron Collider und in den Detektoren am CERN, u. a. im CMS-Detektor
  • in Tieftemperaturlaboratorien
  • in Kernfusionsforschungsanlagen
  • als SQUIDs (=Supraconducting Quantum Interference Devices) in der medizinischen Diagnostik
  • in Quantencomputern, wie sie etwa bei IBM in Rüschlikon entwickelt werden
Das IBM Q System One ist das erste Quantencomputersystem für den kommerziellen Bereich und soll ermöglichen, dass supraleitende Quantencomputer auch ausserhalb von Forschungseinrichtungen zum Einsatz kommen. © IBM Research / ITWM | 2019

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Kondensierte Materie